Labyrinthe. Die Verona-Protokolle


Daimon

Bäume, Wege vor den Mauern, feucht verklebter Kies und Räderspuren,
abgesetzte Dinge und das Kind. Wind in Drahtgeflechte fährt,
weht Fetzen, helle Stücken, Briefe aufwärts. Klirren. Für sich auf Füßen
Hände suchen, meine, was sie sind. Abwesend, blind und außer sich,
      Kentauren.
Im Schatten, hinten, unterm aufgestellten Holz lebt nichts,
nur Vögel hocken, struppig, stumm, im Schlaf noch, alt geworden.
Getan, ich habe, werde sein; das war die Antwort, als ich träumte.
Dunkel schwankt der Bäume Astwerk, Rotes unter Flechten geht,
Spreu fällt, aus dem hohen Himmel Asche, Weißes aus den Ziegeln sickert,
kalkig. Kurz ist das Gras vor den Füßen. Gib mir die Hand.

Oben Strophen schwanken, dunkle Blöcke in den Bücherblättern, grau,
weit weg. Worte schwimmen in den Zeilen, lernt die Klage, eingeschmolzen.
Namen, aufgegangen in den Stimmen, Mann wie Frau, nie weniger.
Es weht, was wehte. Ich war hier, ich bin, ich bin hier nie gewesen.
Wo kommt der Wind her, woher das Kind? Es wartet der Zeit auf,
umstellt von Kisten, Säcken. Es wird, großer Bruder.

Mit Stimmen, nicht fremd. Könnte ich singen.
Flurwächter, doch ohne Atem, grau unterm Schwarz seit je.
Blau aus der lastenden Jacke fordert der Junge und stösst,
fasst mit Armen, Fingern, greift, reißt ab, die aufgenähten Sonnen nieder.
Spricht von Tieren in den Konstruktionen, groß und gelb, gefräßig,
von den treuen Toten im Hornissenschwarm. Setzt ab den Sack
und sieht mich an durch blaue Gläser. So musst du sein.
Das wäre üblich hier. Gib her die Hand, die Hand ist meine.
Wer ich wäre bei den Anderen und wo ich bliebe?
Ohne Vater, mutterlos bemüht im Schwarm der Stimmen
hör ich Holz und Steine, wenn ich keine Stimmen höre.

Rauschen, darin Kellen klappern und der Maurer Löffel schaben,
Sohlen, Nägel, Knochen, ein wisperndes Heer, nicht mehr da.
In Statuen, doch, sie sind hier, tagtauglich in Wacholderdieben, Gärtnern,
eingenistet Hurensöhnen, glänzend grün, dann blass, verweht im Frost
      der roten Ammen.
Bürgerpflichten gehen auf und ab, Notare jaulen, Polizisten Absperrbänder
      ziehen;
weiß in Mädchenaugen, schwarz und fest verschlossen, knistern Drachen.
Bäume und Steine, du weißt, sind gegangen, verließen den Wald und die See.

Das Kind, das sucht, was ich nicht finde.
Ich und Ich. Wind nur, aufwärts, und Papiere.

Ach, liebt euch.
Kurz und schütter ist das Wintergras.
Der Junge sagt, er ginge jetzt, verloren sei Verona


Tage

Schritte, stetig, schwer im Frühlicht, viele.
Wälle gehen hinterm Fluß und Glockentürme über Wiesen, später Wind.
Später Wind bewegt die Drahtgestalten, in den roten Zügen blaue Vogelstimmen.
Rostig beißt das Morgenrot; das Eisen sucht den Mann, der Mann das Eisen,
findet Dienste, seinem Rücken, Schädel Holz und Prügel. Frau und Kind
      die ihren,

Netze. Wie du weißt im Glanz der Spiegelsplitter. Rühr nicht dran.
Fleisch in Arbeit und Funktionen kommt gegangen, das Gepackte
      mit den Knochenläufern,
eingehüllt in Stoffen, von der Uniform gehalten, Knöpfen, Ringen, Nägeln, Haar,
dem echten; sieh, es wächst in allen Farben. Große Münder, aufgemalt, und kleine
      Augen
an den Masken, rot wie Blut, wie Schnee und Ebenholz, die reden. So viele es sind.
Die schöne Jugend schweigt, ausgefroren grau, dann steif geworden. Abgewandt
      die Hände,
abgezogen, die Geräte aneinander reiben, Draht und Röhren, Achsen, Räder,
      die sich drehen,
blinkende Dioden. Rasierte Schädel gehen, ein sacht bewegtes Feld,
durch das der Wind geht, Licht der Frühe, spät der Fluss.

Dann steht das Bild. Du gehst, ich gehe, zu auf einen, eine, kämpfen, wie das heißt,
wenn das der Kampf ist: Fremdes sprechen, in die Stille Worte aus der kleinen
      Eiweißfaust
entlassen, in den Wurf was wächst: wir müssen. Unversöhnt und wütend
wehren, fordern, weil, es hilft nichts, und verhandeln. Echt, Alter, bitten,
ins schwer versehrte Hörloch der Maschine, an, ein sehr geehrtes Arschloch,
Ungeheuer. Kennen wir uns? Es kennt sich niemand besser.

Staub steigt auf und fällt. Im späten Licht den Kies radieren Schritte, viele,
      schwer beladen.
Gehen auseinander, bleiben stehen, zusammen der mit dem und dieser,
      hautgeführt und dinggezwungen.
Ein guter Rat. Dein Tag war was? Es ging um Häuser, Konten, Nippes, Wäsche, Brot.
Kurz und viel zu lang ging es in dieser Mühle nicht zur Sache. Brot macht bucklig.

Das Verlangen: Frage nicht. Ich sehe, weiß schon, hab begriffen,
      was du forderst.

Es wäre an der Zeit. Zu spät, im Stundentakt zu früh.
Um was zu tun? Mit Händen, ich seh zu und lass die Hände reden.
Hier in Anderswo im Marsch nach Irgend, klein im stillen Zug der roten Tiere,
&bsp;     geh ich in der Mehrzahl.
Geh mir aus dem Weg. Echt, Alter, leck mich. Rühr nicht dran.

Wälle stehen am Fluss im letzten Licht und Glockentürme über Wiesen.
Katzenschreie steigen, fern der Frühling, rauscht die Stadt und glänzen Vogelstimmen.

Ging der Mond hinab mit den Pleiaden. Schon ist Mitternacht...


Acheron

Im Halbrund abgelegter Jahreszeiten abgestellte Kisten, in den Kisten Kram.
Rechts und links der schmalen Treppe glimmen ziegelgelbe Wünsche.
Es blieb keiner.

Pflastersteine, brüchiges Gras, im Schlagschatten Häcksel, Federn, ein Schuh.
Stufen, sechs oder sieben, gestapeltes Graugelb, Fenster wandauf im Licht
      des August.
Fenster, aus glänzendem Schweigen gemacht, unter der Staubschicht blind
      ohne Makel.
Zimmer dahinter, die zittern, endgültig fußlos, zu Leere verdammt, ohne Atem.
Keine Tür. Abweisend lockt das Viereck und wächst noch, nach oben, sehr schmal
um gedrängte Gestalten, papierdünne dämmernde Zeugen im Licht des September,
gelehnt an die rückwärtige Seite des Mondes, weit weg, eben da; rotes Leuchten.
Sie suchten die Jungfrau und hörten das Kind, was es schreit: Folge dem Strich.

Wer geht, kommt nicht wieder, die Stimmen sind alt.
Linksrum, wenn das wahr ist, dann rechts. Es wäre dasselbe,
fast, wenn das wahr ist, die Wahl und der Wille wären kein Fehler.
Oktober, November, dann März... Ich hätte gewartet,
über gemahlenen Knochen gehockt. Guter Rücken, mach deinen Handel.
Wer weiß denn, mit wem er nicht spricht. Und wieder. Und wieder
mit dem gestorbenen Brot, den Hähnen aus Blech, Flaschen und Gläsern.
Dunkel ist's hier, unter der Ferse das Herz spricht der Königin. An:
Hier werde ich Kind sein, Bild mit den Bildern, in Schritten, der Kette,
durch Mitten und ab. Wer bleibt, ist gegangen, müde geworden im Namen.
Hier war ich Kind. Unten werden sie tanzen, sprechen mit Bechern der Nacht zu,
Gesang. Im Licht der Jahreszeiten Hände mit den Händen sprechen,
raunt das Gras, so lange es wächst, unter den Füßen und über Hände hinweg.
Bück dich. Ich warte. Im Hals wächst die Zeitung.

Kisten und Kram, überall Stufen.
Türen, nicht offen und nicht geschlossen.
Fenster auf der Suche nach Sonne und Mond.
Gedrängte Gestalten im Dämmer papierdünne Namen skandieren,
der Kreuz-Buben wissendes Lächeln, der Herz-Damen langes Geschick.
Gebannt in Scheidung. Glück in den Pausen.
Schwester, das Messer bleibt stumpf.
Brüder, ihr geht nicht, auch wenn ich euch bitte.
Finden wirst du, finden wird dich.
Das Loch in der Wand, ja, es wächst.
Folge dem Strich, der gewesen.

Windschlag der Türen. Kein Wind.
Diebe und Hehler, wie du jetzt weißt.

Nichts. Lang her. Wagen sind gefahren in zitternder Luft.
Wo kam das Stroh her, wem fehlt die abgerissene Sohle, das Tier?

Danach, um es kurz zu sagen, verging Zeit...


Kore

In abgedeckten Gängen, unter hohen, eingewölbten Himmeln,
hoch im Zwielicht über Treppen, Stege, Brücken, abwärts die Gerade,
zwischen Baumzitaten im Beton, die Spirale aufwärts im Gedränge
auf den Stufen, an Vergessenem vorbei, den Wartenden...
Steigt wer? Und wartet. Viele Türen

Viele Köpfe, glänzend braun, haarlos die Gestalten auf Podesten hocken,
fest in schmale Bahnen eingesponnen, rostrot, blau und gelb, ekstatisch still.
Mit geschlossnen Augen, drahtverbunden, eingestöpselt hören sie den Stimmen zu,
Trompeten, die Klaviere auf dem Marsch, beim Treppensteigen Trommeln,
Saxophone jammern, klagen Klarinetten, die Posaunen kämpfen mit Fanfaren,
Klappergeistern, abgefleischten Knochenflöten, Husten, Pfeifen und Gerede.
Hören atemlos ins Gestern, Münder, ihre Finger, Lungen, Herz, das Hirn im Klang.

Klang geht um und Töne gehen durch's glänzend schwarze Halbrund,
unsichtbar und stumm. Kehren wieder, rastlos, niemals gleich, nie fertig.

Wer sie hört, wird bleiben, gehen müssen oder sich in Stücke reißen.
So dachte ich. Nur wenn das unten meine Beine sind, gefasst
in schön geflecktem Leinen, meine roten Schuh die graue Stufen stempeln,
im Bahnhofsmodus irren, Proben nehmen, sind das oben meine Augen,
offen oder zu. Du hier? Ich wusste es. Ich sag noch: Nie im Leben. Du,
mein Vaterland der vollen, ausgeleerten Säcke, löchrig. Ja, doch, besser
nein, ganz falsch... Was weiß man denn in diesem Dämmer?
Nichts vom Essen und vom Wetter auch nichts.
Jener Mann... Er selbst hat es gesagt.

Viele Türen in der Wand und Schränke, Katzenklappen, alle zu.
Stimmen aus dem Abgrund wehen, Windzitate, Kinderflüstern.
Matte Spiegelstelen stehen, staubig die Gestalten, schwarz verhüllt, sie warten.
Dann Schritte, fern und mählich lauter, abwärts das Gedränge teilen auf den Stufen.
Eine große Schöne, schwarz und rot, im Haar die Blüten fest geschlossen;
offen geht der schöne Mund der Maske, bergalt, und kennt niemand. Lacht:
Was sie höre, wäre ohne Stimme, was sie sehe, habe sich verloren.
Wer ich war, nicht wäre? Wer hier fällt, fällt tief. Halt dich fest,
wenn du etwas zum Halten findest. Es war ein kalter Klumpen,
den sie hielt, handgeformtes Fruchtfleisch, herzgroß, rot.
Wenn du einen Löffel brauchst, dann suche.

Aufwärts im Gedränge Stufen tönen, schlagen Schritte an, steigt wer?
Wandert mit dem Gras der Wüste, mit den Steinen, Schafen, Jahreszeiten.
Wandert mit den Fröschen und den Bäumen, übers Wasser mit den Wölfen.
Wandert mit den Knochen durch das Brot, in Träume, ein und aus.
Dann zerbricht der Schwalbensommer.
Schnee springt auf, das Weiße, das nicht lebt.
Gefangen in der Wand der Knochenvogel kräht.
In der brüderlichen Erde bräunen Kegel, Kinder.
Schönes nur ein Loch reisst in die Finsternis.

Atemlos ins Gestern höre ich, den Mund, die Finger, Lunge, Herz, das Hirn im Klang.
Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes. / Wann aber sind wir?
Angekommen an der weißen, leeren Tür. Was ich weiter sah, ich werd's nicht sagen


Orpheus

Lang war das Steigen, Atmen zu aufs Helle. Leicht jetzt
laufen Schatten in der Mehrzahl vor den Füßen, wachsen auf den Stufen,
schrumpfen. Licht in Röhren flackert, die Metalle pulsen, Staub zuckt auf
und Worte treiben träge abwärts, schwer. Gestern. Lang ist diese Nacht,
doch nicht die Zeit zu schlafen. Los, erzähle...


Ich ins Loch, das Zwiegespräch der schlanken Tiere einstieg, ungeleitet,
trat im Gang der Zeichen Farn und Moose nieder, stieß mit der Stirn durch Fäden,
Wände an mit Schultern, zog, der junge Mann im Alten und im alten Mann das Kind,
Linien in den Bilderhöhlen, spurte eine Spur in's eingewehte Laub verbrauchter Jahre,
ließ auf zeitverschmierten Steinen Klang und Abrieb kleiner Schritte.

So lief durch den Gegenwald mein Schlag und Rauschen, fast war es ein Gehen.
Jugend, du wirst sie nicht los, den Hunger nicht, den Durst, den Zorn.
Gern, doch nicht aus freien Stücken, geben reichlich ab davon die Toten.
Sieh dich um, sie folgen, stehen an den Wegen, Muster, ungerufen und im Recht.
Augen hören Wahres, Wahres sieht das Ohr. Wärst du Gesang.

Der singt: Neues von den alten Dingen. Was ein Mensch ist, abgelöst,
in der Arbeit leichter als der Mond und hastig, sucht in den Schattenspielen
der getrennten Körper, der Geschlechter, schwer wie Wasser, vor dem Tod.
Wer lebt, muss tragen, nehmen, lügen, bei sich bleiben, fallen auseinander,
fliegen können. In den Flüssen schwimmen, untergehen.

Folgen, dem Erinnern durch das Mohnfeld, unter Aschefahnen, rotem Regen,
in der Hand gefärbte Fäden. Liebt euch. Gestern. Was ich wollte, wollte mich.
Nach Rausch und Fluchten das Beharren, Bäume, Fels und unterm Schädeldach
was Wahres. Worte aus dem dunklen Mund, die Kieselsteine keimen lassen.
Die immer hier war, hielt, nicht führte, führt. Mein sind die Beine.

Dein die Arme, fürchte ich. Schwarze Wasser dünsten Kindheit, lang
vorbei gezogene Sonnen, das getrunkene, gegessene Brot, was liegen blieb.
Auf steigen die Gesichter, die es gab und nicht gab, Leiber leuchten, Häute,
eine Wärme, jung und feucht, sie wächst. Augen trinken, in der ungesehenen Stadt
in Zungen Bilder reden. Ich sah die Schlafenden verrichten Arbeit.

In blauem, gelbem Frühlicht gehen zwei und zwei vor weißen Wänden,
Platten aus Metall und Plastik. Schatten kreiseln auf Gefügtem, zittern
ums Gestühl, Körper hocken, liegen. Ausgeleuchtet von den kalten Gegensonnen,
zerrt der Seelen Ungeduld Gesichter, knetet Masken in die Masken, Lallen.
Ein Hundeleben. Scher mich. Los jetzt. Dann hab ich gesagt. Man müsste...

Angehalten zwischen Automaten, Körben, Knüllpapier und abgekauten Äpfeln,
Mann, Frau, Kind, die Greisin warten hinter Bändern, die verhüllte Königin,
ne' Hirntierschlange vor den Tafeln, blau, rot, erdig, schwarz, dem gilben Stottern.
Zahlen leuchten, in den Rahmen Zeiten und Versprechen, Namen; fremd
von oben tönt es: Last Call, bording to Verona, Gate 11 and Gate 12, Gate 153

1.-6.2019

(Anmerkung: Verona ff ist Traummaterial, als Auftrag angenommen, befragt und entfaltet.
Die Zitate sind von Goethe, Homer, Sappho, Herodot, Rilke und Heraklit. Jener Mann ist Pythagoras oder Orpheus und wie alles hier ich.)




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